
In den Lift steigen und tadada, da ist er: dein Traumtrail. So einfach war es bei mir nicht. Ich habe ihn ziemlich lange gesucht. Nicht einmal Übersee-Reisen konnten meine Suche stoppen. Ich wollte auch keinen, der leicht zu haben ist. Ich wollte mich für ihn quälen, ihn erobern. Und genau dann habe ich ihn gefunden. In einer Juliwoche in der Schweiz.
„Gruezi!“, sagt er mit einem Lächeln und radelt an mir vorbei. Immer den steilen, schmalen Wanderweg hinauf, wo ich schon vor rund 500 Höhenmetern kapituliert habe und mein Fahrrad seitdem neben mir her schiebe. Kurz habe ich mir überlegt es zu tragen, doch nach ein paar hundert Metern hatte ich das Gefühl die 14 Kilogramm meines Mountainbikes schrauben mich bei jedem Schritt ein bisschen mehr in den Boden. Also wieder schieben. Über Stufen. Felsen. Vorbei an Bächen, Flussläufen, ganzen Seen voll mit Schmelzwasser. An Wildblumenwiesen, Murmeltierhäusern und Almkühen. Immer entlang von waghalsigen Elektrozaunkonstruktionen. Insgesamt rund 1.400 Höhenmeter.
Normalerweise bin ich nicht der Typ für reine Tragetouren. Ich fahre auch gerne mit meinem Bike bergauf. Wandern liegt mir nicht so. Irgendwie brauche ich immer den fahrbaren Untersatz. Deswegen bin ich mir nicht sicher, was mich hierher gebracht hat. Die Neugierde? Die Zuversicht? Oder das uneingeschränkte Vertrauen in meine Fitness? Wahrscheinlich ein bisschen von allem. Und natürlich der Abenteuergeist, den man bei einer Woche in den Bergen unmittelbar in sich trägt. Forstweg hoch und Trail runter kenne ich schließlich von zuhause. Ich wollte raus. Ein bisschen in die Einsamkeit. Das Unbekannte. Entdecken. Streunern. Und da kam mir die Tour mit dem kleinen gelben Label „E-Bike Tipp“ gerade recht. Zwar fehlt der Motor, aber Carbon statt Kondition muss es eben richten. Käsesemmel und Pfirsich in den Rucksack und los geht es. Zehn Kilometer zusätzliche Anfahrt vom Campingplatz sind da dann auch schon egal.
Wir treten zunächst Richtung Flüelapass. Steigen dann ab und laufen entlang des Flüelabachs bis zum Gasthaus zum Tschuggen. Hier geht es direkt bergauf. Wanderweg. Weiter tragen oder schieben. Für uns. Die Schweizer fahren auf ihren Cross Country Bikes einfach an uns vorbei. Hoch bis zur Liftstation – die im Sommer zum Glück nicht läuft – und dann geht es immer am Grat entlang bergab. Schier unendlich. Über Schneefelder. Wir sind ganz allein. Kein anderer ist hier oben. In dieser Zwischenwelt. Zwischen Zivilisation und Wildnis. Wandern und Mountainbiken. Frühjahr und Sommer.
Es ist einer dieser Trails, die man in den Videos sieht. Werbefilmen von Tourismusdestinationen. Zwei Mountainbiker fahren den schmalen Pfad am Berggrat entlang im Abendlicht. Heute sind das nicht zwei Sportmodels, sondern wir beide. Noch ein paar Mal geht es bergauf, bevor es nun endlich und vollständig ins Tal geht. Ganz oben schlängelt sich der Trail durch alpine Matten. Dieses dicke Gras, auf dem man am liebsten eine kleine Pause einlegen würde. Einfach hinlegen und dem Pfeifen der Murmeltiere lauschen. Nach ein paar engen Kurven säumen Sträucher den Pfad. Nur ein wenig höher als die Matten. Dichter. Grüner. Der Trail selbst bleibt flowig. Sandig mit wenigen Felsen durchsetzt. In fast perfektem Gefälle. Wir kommen an eine Geländekante. Jetzt eröffnet sich uns der Blick über das Tal. Davos. Klosters. Rechts von uns ein kleiner Tümpel. Braun-grün. Das Freibad der weidenden Kühe. Die Sträucher werden noch einmal dichter, der Trail kurviger. Eine Kehre mit Felsen durchsetzt. Anlieger. Ganz natürlich. Kein Bagger hat hier seine Schaufel drüber geschickt. Nichts wurde planiert. Nur ein Wanderweg wurde zum Shared Trail erklärt. Das heißt Wanderer und Mountainbiker dürfen ihn gleichermaßen nutzen. Einzige Bedingung: Respekt gegenüber den anderen Bergsportlern. Wie in ganz Davos. Graubünden.
Nach der Geländekante führt der Trail auf das Tal zu. Mitten durch Alpenrosen. Grüne Büsche mit himbeerfarbenen Blüten. Der Davoser See rückt in unser Blickfeld. Alles wirkt ein bisschen wie in Italien. Die Sonne heizt den Südwest-Hang auf. Der Boden wird staubiger. Zu den Felsen gesellen sich Wurzeln. Immer häufiger tauchen Weidezäune neben dem Weg auf. Bis wir an einer Alm enden.
Lange hatte ich keinen Besuch mehr von ihm. Hatte ihn nicht mehr gespürt. Dieses Gefühl, das niemals enden soll, wenn man einen Trail fährt, der selbst nicht enden will. Dieses Gefühl, wenn man sich frei und im Tunnel zugleich fühlt. Alles ist möglich und doch hochkonzentriert. Der Flow. Um den alles gehen soll. Sagen zumindest die Mountainbike-Magazine. Und ich habe selbst schon genug darüber geschrieben. Hier habe ich ihn wieder gefunden. Und noch etwas anderes. Meinen Traumtrail. Pischa.