
Orcas of the Salish Sea
Whale Watching in Vancouver ist schon fast ein Klassiker. Für mich nicht. Für mich war es immer schon ein Kindheitstraum. Im September erfüllte sich mein Wunsch und ich habe Orcas vor Vancouver Island beobachtet. Genau diese Wale sind jetzt durch das geplante Kinder Morgan Projekt gefährdet.
Die Trommelschläge hallen durch den Raum. Versetzen den Ort in Vibrationen. Die Schwingungen übertragen sich auf uns. Wir sind an der Reihe als die Gesänge lauter werden. Es geht los. In Hoch-Tief-Bewegungen laufen wir durch den Raum. Als würden wir im Wasser ein- und wieder auftauchen. Blasen an der Oberfläche Luft aus und tauchen wieder ab in die Tiefe des Pazifiks. Noch einmal von vorne bis wir von den Adlern abgelöst werden, die mit ihren großen Flügeln über den Boden fliegen. Fast majestätisch. Die Wölfe heulen. Mischen sich unter die Gesänge und die Trommeln. Ein letztes Mal geben sich alle die Ehre. Geben ihr Bestes. Und lassen die Tiere lebendig werden: die Wölfe, Seeadler und Orcas. Bis unser Guide anfängt zu klatschen und uns in den angrenzenden Kinosaal bittet, um mit der Tour fortzufahren.
Wal-Tänze
Unser Tag im Squamish Lil’wat Cultural Centre in Whistler geht mir noch einmal durch den Kopf, als wir gerade die Strait of Georgia kreuzen. Zur Einstimmung auf unsere geführte Museums-Tour wurden wir eingeweiht in die Tänze der First Nations. Wir waren die Orcas. Die anderen die Wölfe und die Adler. Mit unseren Tänzen haben wir die heiligen Tiere der First Nations symbolisiert.

Und jetzt sind wir auf dem Weg zu ihnen. Auf Granville Island sind wir mit 20 anderen „Wal-Hungrigen“ auf ein Boot gestiegen und sind gerade auf dem Weg an die Südspitze von Vancouver Island. Es kommt mir unwirklich vor hier zu sitzen. Einen dicken, neon-orangefarbenen Trockentauchanzug an, die Sonne brennt mir ins Gesicht und die Gischt spritzt über den Bug. Vereinzelt tauchen Robben neben uns auf. Im Nord-Osten spitzt der Mount Garibaldi um die Ecke. Howe-Sound und Squamish liegen ihm zu Füßen. Wir fahren rund zwei Stunden bis zu dem Punkt wo sich gerade angeblich die Wale aufhalten. Unsere Guides haben sie ausfindig gemacht und mit anderen Organisationen gefunkt. Sie müssen den Touristen schließlich etwas bieten. Und somit auch uns. Unser Guide ist Biologin und vollkommen fasziniert von Orcas. Sie kommt mit einer Bestimmungstafel und ein paar Fotos zu uns. So eine Tafel hatte ich früher auch. Und es sieht fast aus, wie meine Walbücher, die noch in meinem Kinderzimmer sind.

Orcas und ich
Dazu muss ich sagen, dass ich schon seit meiner Kindheit, fasziniert bin von Orcas. Sie haben mich schon immer in ihren Bann gezogen. Warum, das kann ich nicht genau sagen. Free-Willy war es jedenfalls nicht. Ich bin in einer Taucher-Familie aufgewachsen, vielleicht lag es daran. Denn neben Skifahren und Mountainbiken wird bei uns der Tauchsport groß geschrieben. Mit 10 Jahren habe ich meinen ersten Tauchschein gemacht. Und schon weit davor war ich ziemlich versiert im Umgang mit Tauchermaske und Schnorchel. Das Meer faszinierte mich. Ich sammelte Fischbestimmungsbücher und konnte die Fische an jedem unserer Tauchplätze auswendig. Besonderes Interesse hatte ich aber immer für die Wale und ganz im Speziellen für Orcas. Ich hatte Walposter zu Hause und irgendwann hatte ich es perfektioniert einen Orca zu zeichnen, der aus dem Wasser steigt. Ganz üblich, wie man das so kennt, wenn die Finne über das Wasser reicht. Der Wal nur kurz zum Luft holen auftaucht und schließlich wieder weiter zieht. An eines kann ich mich auch noch erinnern: Früher gab es diese Freundschaftsbücher, die in der Grundschule gerne durch die ganze Klasse gereicht wurden. Bei „Was ist dein Traum?“ stand bei mir immer, nicht nur einmal, sondern wirklich immer: Nach Kanada zu den Orcas.

Und nun sitze ich hier und unser Guide verkündet, dass wir nur noch zehn Minuten von den Walen entfernt sind. Als unsere Vorderfrau das mitbekommt ist sie vollkommen aus dem Häuschen und verhält sich die nächsten zehn Minuten wie ein aufgedrehtes Wiesel. Hüpft auf und ab, quietscht und pfeift ihrem Mitreisenden ins Ohr. Ich kann es nicht glauben. Was mache ich, wenn ich sie sehe? Was passiert? Habe ich meine Kamera richtig eingestellt und das richtige Objektiv drauf? Nervös fange ich an in meinem Rucksack zu wühlen und noch einmal alles zu überprüfen. Bis Moritz mich antippt. Mein Blick geht nach vorne über den Bug. Ganz entfernt sieht man schwarze Flossen aus dem Wasser auf und ab tauchen. Sie blasen die Luft aus. Zehn bis zwölf Orcas schwimmen ungefähr 400 Meter von unserem Boot entfernt an der Küste Vancouver Islands entlang. Da sind sie also. Ganz frei. Inmitten des Nordpazifiks. Ich werde ganz ruhig und schaue ihnen nur zu. Sie reisen.

Guardians of the Sea
Orcas gehören zur Familie der Delfine und werden wegen ihrer großen Finne auch Schwertwale genannt. Bei den Männchen kann sie bis zu 1,80 Meter hoch werden. Aufgrund ihrer brutal anmutenden Jagdmethoden haben ihnen die Menschen früher den Namen Killerwal gegeben. Bei den kanadischen First Nations sind sie hingegen heilig. Unzählige Sagen ranken sich um die Schwertwale.

Für sie sind Orcas die „Guardians of the Sea“ mit Robben als ihren „Sklaven“ und Delfinen als ihren „Soldaten“. Sie stehen für Familie, Romantik, Harmonie und Schutz. Man sagt ihnen nach, dass sie die „Wächter der Reisenden“ seien und sie wieder zurück nach Hause führen, wenn es an der Zeit ist. Wenn Menschen ertrinken, verwandeln sie sich der Sage nach in Orcas. Wale die nahe an der Küste schwimmen sind demnach verwandelte Menschen, die ihre Familie an Land besuchen. Vielleicht wie jetzt gerade?

Orcas sind weltweit verbreitet, bevorzugen allerdings küstennahe Gewässer der höheren Breiten. Sie sind sehr soziale Tiere mit einer komplexen Populationsstruktur. Vor British Columbia und Vancouver Island gibt es zwei Populationen: die Transient und die Resident Orcas. Transient Orcas leben im offenen Pazifik und ziehen entlang der nordwestlichen Küste. Sie ernähren sich hauptsächlich von Robben oder anderen Säugetieren. Wir sehen gerade die Southern Resident Killer Whales. Diese Residents leben rund um Vancouver Island und sind hier fest angesiedelt. Insgesamt gibt es vier Resident Communities im Pacific Northwest. Die Southern Resident Killer Whales unterteilen sich in drei Gruppen: J-, K- und L-Pod. Die zehn bis zwölf Wale vor uns gehören dem J-Pod an. Sie ernähren sich hauptsächlich von Lachsen und werden auch „Orcas of the Salish-Sea“ oder „Fish-eating Orcas“ genannt.

Obwohl Orcas generell keine Fressfeinde haben, sind diese hier bedroht. Die sinkenden Fischbestände und die zunehmende Verschmutzung und Lärmbelästigung in der Salish Sea bedrohen die Southern Residents. Ein weiteres Problem kann das Kinder-Morgan Projekt werden. Durch die Verlängerung der TransMountain Pipeline von Edmonton nach Vancouver wird sich der Schiffsverkehr in der Strait of Georgia um 574% erhöhen. Rund 408 Tanker werden pro Jahr dafür sorgen, dass das gewonnene Erdöl aus Ölsänden in Richtung Asien exportiert wird. Durch eine Erhöhung der Umgebungsgeräusche wird es für die Orcas schwierig zu kommunizieren, zu jagen und sich zu ernähren. Das führt zum Rückzug der ihrer Art.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sehe ich den ziehenden Orcas zu. Zwei Kälber spielen im Wasser und springen immer wieder neben ihren Eltern. Mit Schlägen ihrer Schwanzflosse verschaffen sie sich Gehör und tollen entlang der Küste. Unser Boot lässt sich treiben, der Motor abgestellt, fast auf der US-amerikanischen Seite, als sich vier bis fünf Orcas aus ihrer Herde lösen. Sie steuern auf unser Boot zu und tauchen darunter weg. Bisher kamen sie mir nicht so groß vor, aber als sie direkt auf uns Kurs nehmen, stellt man fest, dass sie allesamt mindestens fünf Meter lang sind. Hinter dem Boot tauchen sie wieder auf und ziehen weiter. Nur noch ganz klein blitzen ihre Rückenflossen am Horizont auf. Ziehen Richtung offenes Meer. Wir drehen ab und treten den Rückweg an. Meine Vorderfrau hat sich wieder beruhigt. Und ich blicke aufs Wasser. Beobachte den vorbeiziehenden Kelp und warte innerlich noch darauf, dass noch einmal ein Orca neben dem Boot auftaucht. Dass seine große schwarze Rückenflosse die Wasseroberfläche durchbricht. Der schwarze Körper bis zu dem weißen Fleck hinter seinem Auge auftaucht. Aber nichts passiert. Ich habe sie gesehen. Live und frei. Mitten im Pazifischen Ozean. Vielleicht kann ich in ein paar Jahren wieder kommen. Hoffentlich sind sie dann noch da.

Weitere Information zu Whale Watching in Vancouver:
Wild Whales Vancouver bietet von Anfang April bis Ende Oktober tägliche Touren direkt von Granville Island
- Tickets für Erwachsene: 135 CAD $ + 5% Tax