
Mit dem öffentlichen Fernverkehr zu verreisen hat seine Vor- und Nachteile. Einen gewissen Charme aber hat es immer und etwas von einem eigenen Mikrokosmos.
Wer kennt es nicht. Der Rucksack ist gepackt. Die Träger schnüren sich in die Schultern und bereits nach wenigen Minuten wünscht man sich, man hätte doch etwas von dem Gepackten zuhause gelassen. Am Busbahnhof angekommen wundert man sich, dass doch auch so viele andere den Weg hierhin gefunden haben.
Verschlafen wird an einem Coffee-to-go genippt, Taschen werden umgepackt, Pläne geschmiedet. Da es in die Alpen geht, stehen auf jeden Fall auch die obligatorischen Wanderer bereit – die nagelneuen Wanderschuhe bereits geschnürt und die abzippbare Wanderhose für einen Ausflug aus dem Schrank geholt. Bei anderen Wartenden ist wiederum klar, dass sie die Nacht ausgiebig zum Feiern genutzt haben und just in diesem Moment an den Bahnhof gestolpert sind, um den Bus zu nehmen. Frühaufsteher stehen zusammen mit Nachtschwärmern und Touristen am Bahnsteig und blicken erwartungsvoll jedem neu ankommenden Bus entgegen.
Denn war es früher die Bahn, die in Deutschland als Sinnbild für den öffentlichen Fernverkehr stand, sind es heute die Fernbusse, die drohen der Deutschen Bahn den Rang abzulaufen. Auffallend grün stürmen sie die Autobahnen. Aber nicht nur die Deutschen. Fernbusse fahren immer weiter und arbeiten stetig an dem Ausbau ihres Streckennetzes. München – Mailand? Kein Problem. München – Innsbruck mehrmals täglich für 8 Euro? Auf jeden Fall. Im Gegensatz zur Bahn ist der Fernbus billig und steht ihr im Sinne des ökologischen Gedankens kaum in etwas nach.
Aber kommen wir zurück zum Bahnsteig. Der Bus hat heute Verspätung. Einige nehmen es gelassen, andere scharren ungeduldig mit den Füßen. Beobachtet man die Menge, die in ein paar Minuten in den gleichen Bus steigen wird, fängt man unweigerlich an nach Verbindungen zu suchen. Sympathien herzustellen oder die Mitfahrer in Kategorien einzuordnen. Da ist die Gruppe junger Amerikaner, die sich auf ihrem Euro-Trip vorgenommen hat, so viele verschiedene Städte wie möglich in so wenigen Tagen wie nötig zu besuchen. Neben ihrer Sprache, verraten sie auch die Sportschuhe zu kurzen Sportshorts. Reise-Uniform quasi. Es gibt auch immer die zwei Kumpels, die bestens ausgerüstet in den Alpencross starten. Sowie den Alleinreisenden Mann, der ein Sportgerät im Schlepptau hat. Diesmal eine paar Inlineskates. Eine Gruppe asiatischer Touristen ist auch immer dabei. Stets stylisch gekleidet, mit der Kamera um den Hals und der Casio-Uhr am Handgelenk, die eher an einen Taschenrechner erinnert, als an eine klassische Zeitanzeige.
Stellt man sich schließlich zum Einsteigen an, kristallisieren sich schnell Sympathien und Antipathien heraus. Die Alleinreisende Studentin wird dabei zur Verbündeten und späteren Sitznachbarin. Die etwas ältere Dame mit zerzaustem Haar, die bereits beim Einsteigen mehrmals lautstark betont, dass sie es wirklich eilig hat und später noch mindestens dreimal den Busfahrer fragt, ob man auch wirklich pünktlich ankommt, wird dagegen eher nicht zur Lieblingsmitreisenden in dem Mikrokosmos, der sich Fernbus nennt.
Am Sitzplatz angelangt, sitzen zwei ältere Damen gegenüber. Bereits vor Fahrtantritt erzählen sie offenkundig warum sie unterwegs sind und verfallen anschließend in einen durchgängigen Sing-Sang aus Kindheitserinnerungen, Vorfreude auf die neue Stadt und Gespräche über die neuesten Internettrends, u.a. Dawanda und Pinterest, im Alter von 65 – 75 Jahren. Kurz nach München stimmen sie sich genüsslich um 8.30 Uhr mit dem ersten Piccolo auf den Ausflug ein. Der Mikrokosmos schließt sich.
Beim öffentlichen Fernverkehr gelangt man immer irgendwann an den Punkt, wo man die Mitreisenden als Bekannte empfindet. Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen. Auch auf einer 2 1/2-stündigen Busfahrt. Man erlebt etwas zusammen – die Buspanne, den prasselnden Regen an der Scheibe oder den schnarchenden Sitznachbarn, der den gesamten Bus wach hält. Für einen kurzen Augenblick fühlt man eine Verbindung zu diesen wildfremden Menschen. Hat das Gefühl nicht allein zu reisen.
Ist der Bus dann auf den letzten Metern, werden die Gepäckstücke bereit gelegt, die Jacken angezogen. Die Ruhe von gerade eben ist verflogen und mit dem Schritt durch die Tür des Busses verlässt man auch den Mikrokosmos. Alle Gemeinsamkeiten werden abgelegt und jeder entschwindet in eine fremde Welt.