Wie im Weißen Rausch

Der Weiße Rausch in St. Anton am Arlberg gehört zu den legendärsten Jedermann-Rennen des Skizirkus. 1300 Höhenmeter von der Valluga bis ins Tal. Ein Ritt auf der letzten Kante und dem letzten bisschen Schmalz in den Oberschenkeln. Grund genug einmal im Leben dabei zu sein.

Ich merke es. Davor hatte ich Angst. Versuch’ in der Spur zu bleiben. Du schaffst es. Reiss’ dich zusammen. Es ist nicht mehr lange. Schon bald hast du es geschafft. Noch das letzte Querstück bevor es in den Zielhang geht, vorbei am Mooserwirt und hinein in den letzten Hang. Es ist nicht mehr weit. Dann noch über das Zielhindernis. Das schaffe ich auch noch. Meine Oberschenkel brennen. Mein rechtes Bein driftet immer weiter ab. Die Sekunden kommen mir vor wie Minuten. Die Zeit rinnt und ich beobachte alles aus einer anderen Perspektive. Jetzt frisst die Kante. Der Ski driftet ab und mein rechtes Bein bekommt einen Schlag. Komm’ bring es zurück in die Spur. Der Sulzschnee macht es nicht leichter. Es geht ganz schnell. Mein Ski verschlägt, ich drehe mich. Meine Skienden sinken in den pappigen Sulzschnee. Ich falle. Mein Gesicht im nassen Schnee und da zieht sie an mir vorbei. Warum hat die eigentlich einen Rennanzug an?

Jetzt sehe ich es wieder ganz deutlich vor mir. Meine spontane Zusage zum Rennen. Das Einfahren auf der Rennstrecke den Tag über und den Nebel. Ach ja, der Nebel.

Freeride statt Speeddisziplin 

Ganz offiziell und ganz nebenbei zählt der Weiße Rausch in St. Anton am Arlberg zu den spektakulärsten Skirennen für Jedermann. Bereits seit 12 Jahren treffen sich rennverrückte Skifahrer am legendären Arlberg, um sich von der sagenumwobenen Valluga auf 1300hm hinab ins Tal zu stürzen. Auch ich konnte es dieses Jahr nicht lassen und habe in einer geistigen Umnachtung, naja sagen wir eher, in einer spontanen Entscheidung – eine Woche vorher – zu dem Rennen zugesagt. Nun ja, angemeldet war ich schnell und Skifahren kann ich auch ein bisschen, also wird das schon gehen. Na gut, okay, ich bin früher Skirennen gefahren. Früher heißt allerdings vor 13 Jahren und Skirennen ist nicht gleich Weltcup oder Europacup, sondern gleich regionale Skirennen zuhause im Allgäu. Der Kader war daher auch der Allgäuer Skiverband und keineswegs der DSV. Mit 14 Jahren habe ich das Ganze dann aber sein lassen und mich anderen Themen rund um das Skifahren gewidmet – Freeskiing zum Beispiel. Ich bin seitdem mit meinen breiten Latten im Tiefschnee unterwegs und verbringe meine Zeit auf Ski hauptsächlich um Spaß zu haben, einen schönen Tag mit Freunden zu verbringen oder um die Natur zu genießen. Natürlich kann ich es mir manchmal nicht nehmen lassen und nutze die Piste, um möglichst schnell unten anzukommen. Von Rennen bin ich allerdings seit 13 Jahren weit entfernt, hatte bis jetzt auch nicht das Bedürfnis mich sportlich zu messen oder auf Zeit eine bestimmte Strecke zu fahren. Ach ja, ich sollte noch erwähnen, dass sich meine bisherigen Skirennen auf Slalom und Riesenslalom beschränkt haben. Wie man weiß sind das nicht unbedingt die Speeddisziplinen, sondern gehören eher den technischen Varianten an.

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Der legendäre Arlberg © Jürgen Amenda

Immerhin kenne ich das Skigebiet in St. Anton wie meine Westentasche. Also alles halb so wild. Was kann schon schief gehen? Ich fahre mit der Gondel auf die Valluga, überhole ein paar Leute und komme nach dem „Schmerzensberg“ (ein 150m langer Anstieg) wohlbehalten nach 9km Abfahrt unten an. Alles locker, alles easy. Dabei sein ist alles und gewinnen will ich sowieso nicht.

Mit Teddybären und anderen Exoten

Doch je näher der Termin rückt, desto unruhiger werde ich. Ich träume vom Rennen, bin im einen Moment nervös und habe im nächsten Moment richtig Lust die Strecke zu fahren. Will schnell sein oder nur unten ankommen. Ein Wechselbad der Gefühle, schon vor dem Rennen. Die Videos im Internet machen mir Mut, das kann ich auf jeden Fall schaffen. Andere Artikel und Interviews lassen mich dann doch wieder zweifeln. Vielleicht war ich doch nicht oft genug diese Saison Skifahren?! Hätte vielleicht noch ein Konditionstraining einschieben sollen oder doch auch einmal auf Pistenski stehen sollen?!

Naja, zu spät, denn schon stehe ich an der Talstation der Valluga. Vor mir die anderen Starter. Es ist 16 Uhr und ab jetzt lassen sie nur noch die Teilnehmer des Rennens auf die Valluga. Dicht gedrängt stehen wir da. Von Rennanzügen, über Tierkostüme, Tarnoutfits und Aerobic-Outfits ist alles vertreten, was auf einer Bad-Taste-Party Rang und Namen hätte. Auch an Vielseitigkeit des Materials mangelt es hier nicht. Von Super G-Rennski, Snowblades, Snowboards, Freerideski bis zu Franz-Klammer-Gedächtnislatten ist alles dabei. Anscheinend ist auch alles noch fahrbar. Nach einer halben Stunde habe ich es geschafft und bin in der Gondel. Die Stimmung wird angespannter und meine Nervosität steigert sich mit jedem Höhenmeter. Allerdings hat sich der Nebel nicht verzogen. Bereits den ganzen Tag über herrscht dichter, dicker Nebel, der das Skigebiet wie in einen weichen, verschwommenen Wattebausch einhüllt.

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Auf dem Weg zum Start © Wild Recreation

Der halbrunde Start direkt an der Talstation eröffnet den Blick auf die Strecke. Oder eben auch nicht, denn der Nebel ist so dicht geworden, dass nach zehn Metern Schluss ist mit der Sicht. Man startet also in eine große Unbekannte. Fein. Ich suche mir einen Platz in der Mitte und lege meine Ski an den Rand. Die Rennenthusiasten stehen schon bereit und als die Ansage kommt, dass der Start in fünf Minuten ist, geht es los. Hektisch wird die beste Position eingenommen. Bereits jetzt stehen einige in Startposition und sobald der Startschuss ertönt, geht es los. Circa 180 Fahrer starten auf einmal. Direkt in den dichten Nebel. Die meisten hindert das allerdings nicht daran, direkt in die Hocke zu gehen.

Ich bin in der dritten Startergruppe, in der Gruppe für Frauen, Senioren, Snowboarder und Exoten. Das verspricht ja ein spannender Mix zu werden. Neben mir steht ein Typ in einem Teddykostüm und auf der anderen Seite einer mit einem Bundeswehrtarnanzug. Urplötzlich lichtet sich der Nebel. Punkt 18 Uhr. Der Startschuss fällt. Fünf Sekunden später starte ich, dann ist der erste Schwung schon weg und ich habe freie Fahrt. Naja, dachte ich zumindest, denn da tummelt sich so einiges auf der Strecke. Ich halte mich ganz rechts und da sehe ich eine freie Bahn. Ich gehe in die Hocke und ziehe an einigen vorbei. Immer weiter. Bis zum Schmerzensberg. Schnell die Ski ausziehen, auf die Schulter und los. Kein Stress, ganz gemütlich, einfach dein Tempo laufen, sage ich mir immer wieder. Oh Gott, ich bin echt schlecht, vielleicht hätte ich die Konditionseinheit doch noch einlegen sollen. Da ist das Plateau, ich sehe es schon. Was? Es geht noch weiter? Ich dachte, es wäre nur ein Hang gewesen, aber es sind doch zwei und irgendwie merke ich nach einem ganzen Tag Skifahren, doch wie meine Lunge brennt. Gleich habe ich es, gleich ist es geschafft. Ski anschnallen, los und erst einmal durchatmen. Um mich zu erholen fahre ich den ersten Hang einfach straightline. Einige Verletzte aus den beiden vorigen Startergruppen liegen noch auf der Piste. Und eigentlich geht es ganz gut, besser als gedacht. Hätte ich doch den Winter mehr trainiert und wäre nicht nur im Büro gesessen. Das würde jetzt alles ziemlich leicht von der Hand gehen.

Wieso hat die eigentlich einen Rennanzug an?

Ein paar weitere Plätze kann ich gut machen. So läuft die Sache ja. Jetzt noch die Kandahar, aber da habe ich mir ja heute Nachmittag schon die beste Linie ausgesucht und wenn der Schnee so weich ist, kann ich da mit meinem Blizzard Cochise einfach durchpflügen.

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Mit 1300 Tiefenmetern gehört der Weißen Rausch zum härtesten Jedermann- Rennen © Jürgen Amenda

Tja, leider falsch gedacht. Denn die Kandahar hat sich in ein schwarzes Monster verwandelt. Die matschigen Schneehaufen vom Nachmittag sind zu halbmeter hohen Eisbergen gefroren und meine ausgesuchte Linie, hatte wohl nicht nur ich im Kopf, denn da ist bereits eine ein Meter tiefe Eisspur, wo mindestens vor mir bereits 200 andere Skifahrer durch sind. Puh, okay was soll’s, dann runter da. Und wieso hat die vor mir eigentlich einen Rennanzug an? Die schaffe ich auf jeden Fall. Bereits am Start ist sie mir schon aufgefallen, allerdings dachte ich, dass sie wirklich zu den Schnellen gehört und jetzt krebst sie vor mir über die Buckel. Links vorbei und abgehängt meine Liebe. Jetzt einfach über den Ziehweg laufen lassen. Wird schon schief gehen. Noch zwei Hänge und noch ein paar Mädels und Teddies dieser Welt überholt. Im Flachstück links halten, denn da ist die gute Spur.

 

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Die Kandahar – das schwarze Monster © Jürgen Amenda

 

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Auf der Kandahar © Jürgen Amenda

Vielleicht war sie zu gut für mich oder eher zu schmal für meine Freerideski. Denn jetzt lieg ich hier und die Rennanzug-Schleicherin ist an mir vorbei gezogen. Ich raffe mich auf. Bringe die Ski in Ordnung und versuche wieder Schwung aufzunehmen. Die Zuschauer sind jetzt gut zu hören und ich sehe das Ziel schon. Ich lasse es einfach laufen. Noch der letzte Hang. Ich schlittere in die Pfütze vor dem Zielhindernis, ein riesiger Schneeberg, der noch als letzter überwunden werden muss. Der Weg ist schon vorgefertigt und wie im Gänsemarsch stapfen wir durch den tiefen Schnee. Jetzt brauche ich auch keinen mehr zu überholen. Ich bin unten. Bin im Ziel. Eigentlich war es doch nur halb so schlimm. Jetzt war ich wenigstens dabei. Jetzt kann ich wenigstens meinen Enkeln erzählen, dass ich einmal in meinem Leben den legendären Weißen Rausch vom Arlberg gefahren bin.

Meine Beine sind schwach, doch ich bin glücklich. Ich stelle mich an, um meinen Chip für die Zeitmessung abzugeben und wer steht vor mir? Die Rennanzug-Grazie. Vielleicht ist meine Weiße-Rausch-Karriere ja doch noch nicht beendet. Vielleicht komme ich nächstes Jahr einfach wieder und dann erst Recht im Rennanzug.

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Fertig und glücklich im Ziel des Weißen Rauschs © Jürgen Amenda

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