
Menschen geben heute viel Geld aus, um abschalten zu können und sich auf das wirklich Wichtige, den Moment, das Hier und Jetzt zu besinnen. Dabei braucht es dafür gar nicht mal so viel. Mir reicht ein Mountainbike. Und ein Trail.
Man muss schon zugeben: manchmal ist es viel. Arbeit, Überstunden, danach schnell nach Hause, Wäsche machen, putzen, dazwischen die langen Gesichter der Smartphone-Zombies in der Ubahn beobachten, kochen und dann kann man fast schon wieder ins Bett. Bis es am nächsten Tag von vorne losgeht. Das ist der Alltag. Das ist bei vielen so. Kein Wunder, dass es da immer mehr Menschen gibt, die einfach mal den Kopf frei bekommen wollen. Die sich eine Auszeit nehmen und Geld in Qui-Gong, autogenes Training oder „Wie-sie-auch-alle-heißen-Kurse“ investieren.
„Mein Kopf hat nur noch eines im Sinn: Wo ist die beste Line?“
Ich mache zwar gerne Yoga und bin auch der Meditation nicht abgeneigt, aber abschalten kann ich auch ganz gut woanders. Und um das geht es doch: Abschalten. Dazu braucht es nicht viel. Ich brauche dazu meist nur ein Fahrrad. Bevorzugt ein Mountainbike. Denn schmeiß ich mich nach Feierabend in die Bikeklamotten ist alles vergessen. Rucksack an, Helm auf und los geht’s. Steigen meine Füße auf die Pedale und treten in den ersten Abschnitt des Trails, kann ich an nichts anderes mehr denken. Selbst der Uphill ist vergessen. Mein Kopf hat nur noch eines im Sinn: Wo ist die beste Line für die nächste Passage? Wie genau nehme ich den Wurzelteppich? Wie die darauffolgende Stufe und die anschließende Kurve? Wo bremse ich? Ist der feuchte Fels da vorne rutschig?
„Fast als würde der Fahrtwind, der sich auf dem Trail in meinen Haaren verfängt, auch die vielen Gedanken aus meinem Kopf blasen.“
Da zählt jeder Meter. Für etwas anderes ist hier kein Platz. Die Gedanken an die Arbeit, die Kollegen oder die Wäsche, die zuhause noch aufgehängt werden muss, sind weg. Einfach fort. Fast als würde der Fahrtwind, der sich auf dem Trail in meinen Haaren verfängt, auch die vielen Gedanken aus meinem Kopf blasen. Alles einmal durchwirbeln. Die Verknotungen lösen und alles zurecht rücken. Ins rechte Licht. Mich ins Hier und Jetzt katapultieren. In den einen Moment, der wirklich zählt. Denn habe ich alle Passagen gemeistert, konnte für alles eine Lösung finden und mich vom sagenumwobenen Flow treiben lassen, dann zaubert es mir immer ein Lächeln ins Gesicht. Dann kann ich Alltag, Alltag sein lassen. Dann merke ich nicht einmal, dass es anstrengend war. Dass meine Oberschenkel und meine Arme beansprucht worden sind. Dann bin ich froh und alles ist irgendwie vergessen. Und das quasi umsonst. Die körperliche Anstrengung mal in Kauf genommen. Und ja, ein Mountainbike kostet Geld, aber als mehrjährige Anschaffung und umgerechnet auf die Stunden, Minuten, Sekunden, die es mir auf dem Trail den Kopf frei bläst, ist das immer noch ein Schnäppchen. Und dabei lässt man sich nicht in einem stickigen Raum von einem Lehrer ein paar Übungen zeigen. Man verbringt den Tag in der Natur. Mit Freunden. Wer würde da nicht den Kopf frei bekommen?!
Titelbild: Tassilo Pritzl