
Von einem regnerischen Nachmittag im Tien Shan Gebirge, als ich mich den kasachischen Delikatessen Kumys und Schubat in einer traditionellen Jurte stellte.
Die Hitze ist drückend. Ich laufe wie gegen eine Wand. In der Luft liegt ein süßlich-saurer Geruch. Die schwere Holztüre fällt hinter mir zu und ich stehe auf einem dicken, rötlichen Teppich. Sein Flor ist so hoch, dass meine Füße darin versinken. Unendlich tief und weich. Meine Bergschuhe habe ich draußen ausgezogen. Eventuell trocknen sie.
Ganz links im Eck ist noch ein Tisch frei. Er ist tief und ich nehme auf einem kleinen Hocker an der Wand Platz. Meine Knie stoßen an die Tischkante. Die nasse Hose klebt an meinen Beinen. Ich nehme mein durchweichtes Stirnband ab, als mir die Kellnerin die Karte reicht. Kyrillisch. Jedes Wort. In den letzten Tagen habe ich schon ein paar Buchstaben gelernt, aber um daraus ganze Wörter bilden zu können, reicht es bei Weitem nicht aus. Eine komplette Speisekarte verstehen? Heute wohl eher nicht.
Unser Tourguide bestellt. Für alle. Eine kasachische Delikatesse soll es werden. Nennen wir unseren Guide hier Sascha. Und sagen wir einmal, dass er doch einen deutlich anderen Geschmack bzw. Ernährungsgewohnheiten hat als wir Mitteleuropäer. „Wodka ohne Bier ist wie Geld in Wind,“ ist einer seiner Leitsprüche. Verständlich. Braucht man doch etwas leichtes zwischen dem Hochprozentigen. Sonst wird der Kater zu groß. Was man auch daran sieht? Alkohol wird hier relativ groß geschrieben. Bier zählt hier allemal als Durstlöscher. Cognac und Wodka sind hingegen relativ alltäglich und werden je nach Zustand als Muntermacher, Medien oder in Ausnahmefällen – und dann in entsprechenden Mengen – als Rauschmittel konsumiert.
Achso, wir sind hier in Kasachstan in der Gegend um Almaty. Genauer gesagt, in einer Jurte im Skigebiet Shymbulak. Wir, das sind meine Kommilitonen, mein Professor für Landschaftsökologie und ich auf Studienreise durch Kasachstan.
Wie wir hier gelandet sind? In der Jurte? Eigentlich waren wir im Sinne der geographischen Landschafts- und Länderkunde unterwegs, um uns die Gletscher oberhalb des Skigebiets anzuschauen. Inklusive geomorphologischer Untersuchungen versteht sich. Und wie es dann eben so ist, kam eines zum anderen: Gewitter, Regen, Abbruch. Was zuerst kam, kann ich nicht mehr genau rekonstruieren. Auf jeden Fall hat uns Sasha dann hierher gebracht. Und auf einmal glüht mein Gesicht von der Hitze in der Jurte und dem Cognac, mit dem wir gerade zum ersten Mal angestoßen haben.
Schließlich ist Kasachstan nicht nur bekannt für Wodka, sondern auch für erstklassigen Cognac. So steht sie also hier, die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Aber dazu hat uns Sasha eine weitere kasachische Spezialität bestellt: Schubat und Kumys.
Schubat ist in einem Lederschlauch vergorene Kamelmilch. Bonus: sehr hoher Fettgehalt und wird als Heilmittel bei Tuberkulose sowie Magen- und Darmleiden eingesetzt. Wir bleiben beim Leder. Denn die zweite kasachische Delikatesse Kumys ist in einem im Rauch gegerbten Lederschlauch vergorene Stutenmilch.
In dicken, verzierten Schalen aus Holz kommen die beiden Spezialitäten an unseren Tisch. Ein Holzlöffel zum Schöpfen liegt daneben und kleine hölzerne Becher stehen bereit. Schubat ist sämig. Ein beißender Geruch steigt mir in die Nase, als ich die Kamelmilch in meinen Becher gieße. Sehr satt. Fast ein bisschen ranzig. Beim ersten Schluck schmeckt sie säuerlich, alt. Der zweite Schluck macht es nicht besser. Der dritte auch nicht. Mit Cognac nachspülen. Der Alkohol umhüllt mich. Kriecht feurig meine Kehle hinunter und wärmt wohlig von innen. Der Dauerregen ist vergessen. Meine nassen Socken auch.
Es wartet der Kumys, die Stutenmilch. Ganz feine weiße Stückchen schwimmen darin. Der Geruch hat etwas von Streichelzoo. Beißend, fast stechend. Ein bisschen Ziege ist auch dabei. Sie schmeckt sprudelig, erfrischend. Das Gegenteil zur Kamelmilch. Ein bisschen eingelegtes Obst und ich finde mich mit meiner Existenz in dieser Jurte am Rande des Tien Shan Gebirges mühelos ab.
Fast drei Stunden sind vergangen. Abgeschottet in der kasachischen Jurte habe ich die Welt vor der schweren Holztüre vergessen. Ich habe mich von der Wärme einhüllen lassen und versinke förmlich in den dicken Perserteppichen auf Boden und Wänden.
Meine Hose ist fast trocken als ich nach draußen trete. Die Luft ist kühl. Die Nacht herein gebrochen. Wir machen uns auf den Weg zurück nach Almaty. Die kasachischen Delikatessen lassen wir erst einmal hinter uns.