Das moderne Entdeckertum

Wir alle wollen Entdecker sein. Im Kleinen, wie im Großen, in der Stadt, auf dem Land, in der Wissenschaft, wenn nicht sogar im Supermarkt. Wir wollen Sachen finden, neu entdecken oder für uns entdecken. Dabei hängt es weder mit dem Beruf, der Ausbildung oder den privaten Hintergründen zusammen. Wohl eher liegt es in der menschlichen Natur, Entdecker zu sein. Gab es schließlich Vasco da Gama, Christoph Columbus, Jacques Cousteau oder auch Alexander von Humboldt, um nur einige von ihnen zu nennen.
Sie entdeckten neue Welten, Pflanzen, Tiere, ja gar ganze Länder. Sie waren Reisende. Getrieben von der Sehnsucht Neues zu entdecken. Sie waren Individualisten. Sie hatten Mut, Ausdauer, Unternehmensgeist und schöpferisches Denken. Die persönlichen Wünsche rückten hinter die gesteckten Ziele zurück. Sie haben unser Weltbild maßgeblich verändert.

Doch wo sind die modernen Entdecker? Wer sticht heute noch in See, um fremde Kulturen zu erforschen, um ferne Länder zu entdecken? Wohl kaum einer. Natürlich gibt es genügend Individuen, die sich auf die Suche begeben. Bergsteiger, Wissenschaftler, Abenteurer. Doch das große Ganze steht meist nicht im Vordergrund. Man ist es selbst. Die eigenen Wünsche werden anvisiert und die schnellste, höchste, ungesichertste Besteigung/Überquerung angepeilt. Das sind die Sportler.

Die anderen sind die Wissenschaftler und viele oder auch einige von ihnen sind Geographen. Wie Alexander von Humboldt es war. Entdecker. Auch ich bin Geographin. Auch ich wollte Entdeckerin, Abenteurerin werden. Doch habe ich mir das doch ganz anders vorgestellt, als es dann im Lehrplan des Studiums verankert war. Die großen Entdeckungen hinsichtlich der vertrauten und etwas verstaubten Länder- und Landschaftskunde wie es die großen Geographen-Vorfahren getan haben, gibt es wohl eher kaum noch. Natürlich kann man auch heute noch etwas entdecken: Tiere oder Pflanzen. Aber da sind dann wohl eher die Biologen anzutreffen. Und genau das ist der springende Punkt. Die Geographie kann alles, ziemlich viel sogar. Aber Experte ist wohl allein von einem Geographiestudium niemand. Wir wissen über Nachhaltigkeit Bescheid, den Globalen Wandel, die Geomorphologie unserer Erde, Stadtplanung und das Klima im ganz Allgemeinen. Wir können Programmiersprachen, verstehen es mit Geographischen Informationssystemen umzugehen und statistische Auswertungen durchzuführen. Klingt doch alles noch ganz gut. Doch zu unserem Leidwesen gibt es fast immer jemanden, der eine Sache noch besser kann, der größerer Experte ist und sich noch mehr in ein Thema eingearbeitet hat. Über Nachhaltigkeit weiß mittlerweile so ungefähr jeder ab der zweiten Klasse Bescheid und dann gibt es auch noch diese Umweltmanagement-Studiengänge. Der Globale Wandel geht auch jeden etwas an. Die Wirtschaftswisschenschaftler, die Industrie, die Politikwissenschaften und nur so ungefähr die ganze Welt (um den Bezug zu global nicht zu verlieren). Die Geomorphologie kann auch von den Geologen ganz gut unter die Lupe genommen werden und die Stadtplanung von Architekten. Das Klima? Da streiten sich jetzt wohl auch noch die Physik und noch spezialisierter, die Meteorologie darum. Ach ja, die Biologen sind bestimmt auch bei einem Thema noch tiefer drin. Programmiersprachen sind eh klar und werden von IT-Fachkräften beherrscht wie das Kleine Einmaleins. Bleiben nur noch die Geographischen Informationssysteme und die liebe Fernerkundung. Das ist Geographen-Thema. Das haben sonst nicht viele und lernen auch nicht viele.Da behalten wir den Überblick. Ist das das einzige Thema das uns bleibt? Oh nein! Denn der Überblick ist das Entscheidende. Wir haben ihn. Über all unsere Themen. Geographen können verknüpfen, anwenden, verstehen und miteinander verbinden. Wohl kaum eine andere Fachrichtung verschafft sich solch einen Überblick, kann sich in Themen vertiefen oder auch nicht, kann zwischen Natur- und Sozialwissenschaften springen und sie am Schluss doch miteinander verbinden. Und über unseren lieben Planeten wissen wir auch noch etwas. Und nicht nur, wo die deutschen Flüsse liegen.

Ach ja, um dazu noch etwas zu sagen. Wir sind keine Erdkundler. Wir zeichnen im Studium keine Landkarten oder lernen Flüsse und Hauptstädte auswendig. Stadt-Land-Fluss ist nicht zwingendermaßen unser Lieblingsspiel und wir sind keine Geologen, sondern Geographen. Wobei diese Diskussion bei manch einem Gesprächspartner nach ein paar Minuten für unverständliche Blicke sorgt und man wohl besser beraten ist, irgendwann als Geologe zu gelten, bevor die Erklärungen erneut beginnen.

Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Geographen macht sie besonders und so variabel einsetzbar. Doch sind auch die Geographen eine besondere Spezies und leider meist deutlich von anderen Studenten an den Universitäten zu unterscheiden. Einen Großteil von ihnen, und da zähle ich mich nicht dazu, ist an ihren abzippbaren Wanderhosen, Trekkingschuhen und Bergrucksäcken zu erkennen. Immer bereit, um loszuziehen oder den nächsten Kontinent zu entdecken.

Naja, Schattenseiten muss es überall geben und wenigstens haben auch diese besonderen Exemplare der Spezies der Geographen den Wunsch zu entdecken noch nicht aufgegeben.

2 Kommentare zu „Das moderne Entdeckertum

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